Die Wand ist konkav. Weiß. Nicht gefliest sondern aus einem
Guss. Kühl und glatt. Der Boden ist aus demselben Material. Da ist ein
handtellergroßer silberner Abfluss, der dich anstarrt. Da sind deine nackten
Füße, die keinen Schatten werfen. Da ist Licht ohne Quelle, ein Duschkopf ohne
Apparatur oder Schläuche.
Dein nackter Rücken klebt an der durchgängigen Glaswand, die
den Halbkreis abschließt und dich einschließt. Der Raum dahinter ist kein Raum,
denn du kannst ihn nicht betreten; niemand kann das.
Die Luft liegt schwer auf deinen blanken Schultern, deinem
hellen langen Haar. Sie drückt sich an deine Brust, welche mit aller Kraft
dagegenhält, sich stemmt, und hebt, und senkt.
Das Wasser kommt aus dem Nichts. Ein fester Strahl, der
brennt und zischt. Er trifft dich zwischen den Augen, springt, rinnt, klammert
und windet sich über deinen Körper. Du atmest laut aus. Dein Stöhnen erklimmt
die wasserperlenbesetzen Wände und wird eins mit dem Rauschen.
Vielleicht ist es heißes Wasser, denkst du. Denn du brennst.
Deine zitternden Beine geben nach, du sinkst kurz zu Boden, wo du kauerst, die
Arme schützend über den Kopf gelegt. Als du dich an der Wand abstützt, um dich
wieder aufzurichten, sind deine Hände und Unterarme voller langer Haarsträhnen.
Sofort werden sie weggespült und verschwinden im Ausguss.
Vorsichtig greifst du dir auf den Kopf und ziehst eine
weitere Handvoll Haare heraus. Du betrachtest sie, wie sie zwischen den
ausgestreckten Fingern deiner offenen rechten Hand kleben, und dann, vom Wasserstrahl
erfasst, sich winden, schlängeln und entgleiten. Sie folgen ihren Vorgängern.
Verwundert reibst du die Fingerspitzen deiner nun leeren
Hand aneinander. Die Haut löst sich mühelos und entblößt dunkelrotes Fleisch. Die
weißen Fetzen werden vom blassroten Wasser weggespült.
Dann beginnst du also mit den Haaren. Bedächtig streichst du
dir über den Kopf, bemüht, jedes einzelne Haar gründlich zu entfernen. Ein Teil
der Kopfhaut löst sich ebenfalls und klebt an deiner linken Schulter, bis du es
mitsamt einem kleinen Stück derselben entfernst.
Das Wasser, das kein Wasser ist, bleibt annähernd klar, nur
durchzogen von verirrten roten Schlieren.
Du beginnst wahllos, deinen Körper zu zerlegen. In kürzester
Zeit hast du dein linkes Schien- und Wadenbein völlig freigelegt. Fasziniert
betrachtest du die blanken Knochen und machst dich dann weiter ans Werk. Nach
und nach entkleidest du dein Skelett, gründlich, zügig, konzentriert. Der
Ausfluss schluckt stumm alle Fetzen, die du ihm zuwirfst.
Nun hast du schon fast alle linken Extremitäten völlig
entblößt. Du betrachtest dein Werk zufrieden: die Flüssigkeit greift deine
Knochen und Augen nicht an. Noch nicht.
Du blickst dich noch einmal kurz um in dem Weiß, in der
Duschkammer, die im Nichts liegt und die dich zersetzt. Du musst rein werden,
reiner noch, und dann, dann erst kannst du dich ganz auflösen zwischen den
Worten. Und das Nichts betreten.
Beginn nun dich selbst zu sezieren:
Ziere dich nie vor dir selbst.
Durchleuchte dich gut und gründlich:
stündlich werden deine Wünsche reifer,
Eifer frisst an deinem Zaudern,
Mauern beben, Grenzen heben,
strecken, recken sich und gähnen.
Fühl dir auf Zähne und Sehnen:
jene nämlich wähnen sich zu sicher.
Stich- und hiebfest liegen sie
still im Panzer der Gewohnheit.
Öffne ihn ohne zu Zögern.
Öffne dein Zögern.
Betrachte was auch immer du findest:
Bedenke deine Gefühle.
Befühle deine Gedanken.
Betrachte sie als wahr.
Und damit kannst du anfangen.
(Enden kann es ohne dich.)
Anmerkung: Mein erster Post seit langem. Ich werde mir Mühe geben, wieder mehr und regelmäßiger zu schreiben, aber es ist etwas schwierig zur Zeit, denn ich schreibe mehr und mehr auf Englisch und arbeite ein bisschen an einem längeren Projekt.
Die furchtbar düstere Thematik tut mir leid. Der Prosatext basiert auf einem Albtraum, den ich genau so hatte, mit fliegendem Perspektivenwechsel zwischen erster und dritter Person. Daher habe ich die goldene Mitte gewählt. Das Gedicht ist mein Versuch, dem Traum einen etwas tieferen, vielleicht sogar positiven Sinn zu geben.